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INTERVIEW MIT EINEM 85-JÄHRIGEN DRUCKER

Ein guter Freund von mir, Helmut Pötscher, ist stolze 85 Jahre alt und arbeitete über 40 Jahre lang, genauer gesagt von 1949 bis 1996, in Tirols größter Druckerei. Als gelernter Buchdrucker und Maschinenmeister arbeitete er zunächst in der Wagnerischen Universitätsbuchdruckerei und danach in der Moser Holding, die bis heute Herausgeber der Tiroler Tageszeitung, Tirols größter Tageszeitung, ist. 

Interview mit Drucker

HCG: Du hast von 1949 bis 1996 als Drucker gearbeitet. Das war ja lange vor der Digitalisierung, die wir heute erleben. Somit kannst du uns sicher ein paar interessante Einblicke geben, wie das damals war. Damit wir einen Überblick bekommen: Wie viele Druckereien gab es damals in Tirol? Gab es überhaupt Konkurrenz?

Helmut Pötscher: Für den Zeitungsdruck gab es lediglich einen Konkurrenzbetrieb, das war die Tyrolia, die zuständig für den Druck der Innsbrucker Nachrichten war. Die Tyrolia war allerdings sehr klein und man konnte sie eigentlich nicht wirklich als Konkurrenz betiteln. Von der SPÖ gab es noch die sogenannte Volkszeitung, die in einer eigenen Druckerei in der Reichenau (Anmerkung HCG: die Reichenau ist ein östlicher Stadtteil von Innsbruck) gedruckt wurde. Aber eine Konkurrenz war das auch nicht.

Als ich damals bei der TT (Anmerkung HCG: Tiroler Tageszeitung), die von der Moser Holding gedruckt wurde, anfing, hatte die TT acht Seiten täglich. Mit acht Seiten fing ich also an. Da eine Zeitung aber von den Inseraten lebt, dachte sich Herr Moser, mein Chef, man müsse mehr Inserate an Land ziehen um mehr zu verdienen. Dann stellte er Vertreter ein, die Werbeanzeigen an die Geschäfte verkauften. Es dauerte vielleicht ein Jahr, bis die TT an einem Wochenende plötzlich 32 Seiten umfasste. Das war eine Aufregung, die man sich heute nicht vorstellen kann.


Natürlich wurde der redaktionelle Teil auch entsprechend ausgeweitet. Es wurden also auch weitere Redakteure eingestellt. Das war unglaublich, es war ein explosionsartiger Anstieg von acht auf 32 Seiten. Alle Inserate in dieser Zeit gingen in die TT, deshalb kam dieser große Erfolg.

 


HCG: Was habt ihr damals sonst noch alles gedruckt?

 

Helmut Pötscher: Wir druckten zwar auch ein paar Werbesachen, aber hauptsächlich Zeitungen. Untertags druckten wir die Bezirksblätter, die auch ganz gut liefen, die hatten auch ein paar Inserate. Und in der Nacht druckten wir die TT.

Die Auflage der TT, als ich dort angefangen habe, war täglich 38.000 Exemplare. Als ich 1996 aufgehört habe, war die Tagesauflage der TT knapp 90.000 Exemplare. Herr Moser war ein sehr guter Geschäftsmann, er hat genau gewusst, was zu tun war. Wir hatten zB zwölf VW-Fahrten für Zeitungsauslieferungen in Gegenden, in die der normale Zeitungsträger nicht hingekommen wäre. Da bekam jemand von der Moser Holding einen VW, nur damit er die Tageszeitung um 6 Uhr in der Früh an einen entlegenen Bauern irgendwo oben am Berg bringen konnte. Und dieses Prinzip der totalen Abdeckung ging auf.

 


HCG: Wofür warst du konkret zuständig? 

Helmut Pötscher: Ich war verantwortlich für den Druck der Tiroler Tageszeitung und hatte ein Team von 20 Personen unter mir. Wenn es einmal ein mechanisches Problem mit einer Maschine gab, war es auch meine Aufgabe sofort einen Schlosser zu holen und ihm zu sagen „Das musst du heute noch richten! Abends um 18 Uhr muss die Maschine wieder laufen.“. Und das hat glücklicherweise immer gut funktioniert, es war auch sicher viel Glück dabei.

 


HCG: Welche Qualifikationen musstest du mitbringen für diesen Job? Wie sah die Ausbildung aus?

Helmut Pötscher:  Mit 15 Jahren begann ich die Ausbildung als Buchdrucker. Nach einem halben Jahr schulte ich aufgrund persönlicher Differenzen mit meinem Vorgesetzten um in den Tiefdruck-Bereich, in dem ich auch fünf Jahre blieb. In der Tiefdrucker-Ausbildung lernte ich auch drei Monate an einer Bogenmaschine und drei weitere Monate an einer Rotationsmaschine. Diese Anlernzeiten waren wichtig um die Maschinen zu beherrschen.

Etwas, das man als Drucker mitbringen musste, war ein gutes Auge - egal ob Buchdruck oder Tiefdruck. Dieses Talent war ein großes Glück für mich. Ich musste mit bloßem Auge auf den ersten Blick erkennen, ob in einem Bild zum Beispiel ein kleines bisschen zu viel (oder zu wenig) Cyan (Blau), Magenta, Gelb oder Schwarz enthalten war. Wenn das Gelb an einer Stelle im Bild zu kalt war im Vergleich zum Originalbild, wusste ich, es muss mehr Magenta hinein. Manchmal kopierten wir Bilder von Malern. Wir machten einen Abzug und hielten die Originalbilder daneben. Ich wusste bei einem berühmten Maler sofort „da fehlt das Rot“. Der Maler schaute mich entgeistert an und war verblüfft von meinem präzisen Auge für die Farbwiedergabe.

Der Buchdruck (oder auch Hochdruck) funktioniert wie ein Stempel. Heute sind diese Stempel aus Gummi, damals waren die Stempel jedoch aus Blei. Und da die Buchstaben von einem Setzer per Hand zusammengebaut worden waren, kam es manchmal zu Unregelmäßigkeiten. Es war ja nicht möglich auf Hundertstel Millimeter genau Metallbuchstaben zu gießen. Die Buchstaben bestanden aus Blei, Antimon und Zinn. Das wurde erhitzt auf 280 Grad und in Buchstabenformen eingegossen, die dann eben für den Buchdruck zusammengesetzt wurden.

Ich musste also dem Papier quasi die Möglichkeit geben sich an diesen Bleistempel anzupassen. Es war ja nie komplett gleichmäßig, ein paar Buchstaben waren zum Beispiel etwas dicker oder an einer anderen Stelle etwas dünner. Man konnte sehen, dass es kein gleichmäßiges Druckergebnis war.

 

Ich machte also einen Abzug und schaute mir das Papier auf der Rückseite an. Dort sah ich, wo es mehr oder weniger eingedruckt war - wie eben bei einem Stempel, wenn man wo fester und wo weniger fest draufdrückt. Das musste ich dann mit Seidenpapier manuell ausgleichen. Ich suchte mir die Stelle, die am wenigsten durchgeprägt war, ich zeichnete diese Stelle ein und gab ein Seidenpapier dazu. Und so schaute ich mir alles im Detail an. Da brauchte dann eine Seite drei Stellen mit Seidenpapier zum Ausgleichen zum Beispiel. Diese „Zurichtung“ (so nannte man das) klebte man hinter das zu bedruckende Papier ein und so konnten diese Ungleichheiten vom Satz ausgeglichen werden. 

Das war die Kunst des Buchdruckers. Heute gibt’s ja nur mehr Offset, der Buchdruck und der Tiefdruck sind ja gestorben. Und im Offset-Druck gibt’s solche Unterschiede, die durch die Metallbuchstaben entstehen, ja nicht.

 


HCG: Du hast den Schritt von Buchdruck und Tiefdruck auf Offsetdruck live miterlebt. Wie war das?

Helmut Pötscher: Im August 1994 ging ich in Pension - und zwar als Buchdrucker. Dann war ich mit meiner Frau eine Woche in Kärnten auf Urlaub. Nachdem ich zurückkehrte, wurde ich jedoch per Telefonanruf ins Büro gebeten. Ich war natürlich sehr verwundert, schließlich hatte ich eine Woche zuvor meinen wohlverdienten Ruhestand angetreten. Man bat mich doch wieder ins Arbeitsleben einzutreten und als Offsetdrucker zu arbeiten.

 

Ich war sehr verwundert. Vor allem, weil ich Offsetdruck nie gelernt hatte, das wäre eine vierjährige Lehrzeit gewesen. Und ausgebildete Offsetdrucker hatten wir bei der Moser Holding zu jenem Zeitpunkt schon. Mit meinen 60 Jahren wurde mir also eine Lehrstelle als Offsetdrucker angeboten. Ich musste das natürlich mit meiner Frau besprechen, schließlich hätten wir nun endlich mehr Zeit miteinander und füreinander gehabt. Meine Frau meinte dann aber, dass dies eine große Auszeichnung für mich als Person wäre, dass mich mein Arbeitgeber nur eine Woche nach der Pensionierung gleich wieder einstellen möchte.

 

Nun gut, ich ließ mich darauf ein und begrenzte meine erneute Arbeitszeit auf ein Jahr, in dem ich den Offsetdruck in Deutschland, Wien und Salzburg erlernte. Tja, dann war ich in meinem hohen Alter plötzlich wieder Abteilungsleiter - nur diesmal für den Offsetdruck.

Der Offsetdruck war für den Drucker viel einfacher. Gleichzeitig war die Qualität im Endergebnis viel höher. Heute hat eine Zeitung eine derart hohe Qualität, früher erzielte man solch eine Qualität nur im Kunstdruck.

 


HCG: Wie sah denn ein typischer Arbeitstag für dich damals aus?

Helmut Pötscher: Im Buchdruck gab es damals eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden (montags bis samstags Mittag). Im Tiefdruck war allerdings viel mehr los, da wurde ich dazu verpflichtet fünf Jahre lang von Montag bis Freitag jeweils zwölf Stunden und am Samstag sechs Stunden zu arbeiten. Im ersten Jahr gab es damals eine Woche Urlaub, im zweiten Arbeitsjahr gab es schon zwei Wochen Urlaub. Mehr gab es damals einfach nicht.

Als ich frühmorgens in die Druckerei kam, schaltete ich die Maschinen ein und überprüfte, ob wir genug Farbe zum Drucken hatten. Dann kümmerte ich mich um die Druckformen, die tägliche Druckplanung usw. Manchmal wurden wir trotz einer Zwölf-Stunden-Schicht am Vortag mit der Arbeit nicht fertig. Dann musste ich die Druckform mit einem Gummi abreiben, sodass wir sie weiter verwenden konnten.

Bei der Rotationsmaschine, in die die Papierbögen eingespannt wurden, musste ich ein haarscharfes Auge haben. Zunächst wurde das Papier mit Gelb bedruckt, dann kam Magenta und da ging es dann schon los. Das, was man heute als Passermarken bezeichnet, musste manuell mit Augenmaß gemacht werden. Natürlich waren die Maschinen damals bedeutend langsamer als heutzutage, dennoch musste ich mit Adleraugen darüber wachen, dass die Farben penibel genau aufeinander gedruckt wurden. Mit einer Spindel konnte ich händisch an der Rotationsmaschine nachjustieren.

Ich war quasi den ganzen Tag damit beschäftigt mit Adleraugen hochkonzentriert die Drucke zu kontrollieren und die Maschinen händisch millimeterweise nachzujustieren.

Im Tiefdruck waren die Farben mit Alkohol angerichtet, damit sie schnell trocknen konnten. (Im Buchdruck hingegen hatte man ja länger Zeit, da waren die Farben ölig.) Nun hantierten wir den lieben langen Tag mit diesen Farben auf Alkoholbasis. Und diese Alkoholdämpfe verbreiteten sich natürlich im ganzen Raum, wir atmeten das ständig ein. Nach einer halben Stunde in der Arbeit waren wir schon alle betrunken. Das war der Normalzustand.

 

Außer mir lebt von meinen damaligen Kollegen niemand mehr, die tranken ja in ihrer Freizeit zusätzlich noch Alkohol. Ich trank hingegen immer Milch. Ich weiß nicht, ob mich das bis heute am Leben hielt (lacht), aber das war der einzige Unterschied zwischen meinen Kollegen und mir und ich bin der einzige, der noch lebt (lacht).

 

 

HCG: Was hat dir an deinem Job am meisten Spaß gemacht?

Helmut Pötscher: Dass ich immer eine gewisse Zufriedenheit und einen gewissen Stolz gehabt habe mit den Produkten, die ich drucken durfte. Und wenn es zeitlich besonders herausfordernd war, blühte ich besonders auf. Ich liebte die Herausforderung. Unter Zeitdruck war ich am besten.

HCG: Was war aus deiner Sicht damals die größte Herausforderung für das Druckereigewerbe?

Die Erfindung und Etablierung des Fernsehers. Allerdings blieb die Auflage der Zeitung trotzdem stabil. Das Fernsehen war also nicht wirklich eine Konkurrenz. Weil: Im Klo gibt es keinen Fernseher und man möchte gar nicht glauben, wie viele Leute auf dem Klo die Zeitung lesen. (lacht)
 

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